Filme – einst und jetzt

Bis zum Jahre 1906 hatte man in Deutschland so gut wie keine eigene Filmproduktion. Wohl wurden von einigen Technikern wie Oskar Messter u. a. kleinere Filme hergestellt, die sich hauptsächlich auf aktuellem Gebiet bewegten, aber von keiner großen Bedeutung waren. Die zu damaliger Zeit in den Kinotheatern vorgeführten Filme waren fast alle ausländischen Ursprungs und wurden in der Hauptsache aus Frankreich, Amerika und England eingeführt. 

Schon im Jahre 1900 hatte die Firma S. Lubin in Philadelphia einen Katalog herausgegeben, in welchem sie außer ihren Aufnahme- und Wiedergabeapparaten über 8000 Filme verschiedener Art anbot. Es waren dies Kriegsfilme (vom amerikanisch-spanischen Krieg, vom süfafrikanischen Kriegsschauplatz, chinesische Wirren), Zirkusfilme, Stiergefechte, Illusionsfilme, Pikante Filme, aktuelle Filme, Tierfilme, Varieté und Tanzfilme (letztere zum Teil koloriert), Boxkämpfe, Eisenbahnszenen, humoristische Filme sowie die „Oberammergauer Passionsspiele“, die in 31 Einzelaufnahmen erschienen waren. Der gesamte Film war etwa 4000 amerikanische Fuß lang, was einer Länge von ca. 1300 Metern entspricht. Da jedes Bild eine abgeschlossene Handlung für sich war, konnte jeder Film auch einzeln gespielt werden.

Die ausländische Filmfabrikation hatte bald erkannt, dass Filme dramatischen Inhalts beim Publikum großen Anklang fanden. Die ersten Dramen, die in der Zeit von 1903 bis 1906 erschienen sind, hatten eine Länge von 40 bis 150 Meter, sie waren in ihrer Darstellung sehr laienhaft und ausnahmslos auf die Tränendrüsen des Publikums abgestellt. (Wenn heute nach 30 Jahren die Filme als Kuriosum vorgeführt werden, erregen sie den größten Heiterkeitserfolg).

Die ungeahnte Entwicklung der Kinematographie und die Entstehung der Lichtspielpaläste, die Kapellen bis 50 Mann besaßen, machten bald den Rezitator überflüssig, sodass er auch in den kleinsten Theatern nicht mehr erwünscht war.

Als von 1912 an sich die ersten deutschen Schauspieler dem Film zur Verfügung stellten wie: Albert Bassermann, Paul Wegener, Alexander Moissi, Eugen Burg, Friedrich Kayssler, Bruno Decarli, Prof. Leon Rains, Guido Thielscher, Maria Carmi Vollmoeller, Henny Porten u. s. w. hatte der deutsche Film bald Weltruf erlangt. An Schauspielern war von jetzt ab kein Mangel mehr, sodass man außer Dramen auch Bühnenschauspiele, Opern und Operetten verfilmte. Hierzu möchte ich erwähnen, dass fast alle Opern- und Operettenfilme Versager waren und dem theaterfreundlichen Publikum eine große Enttäuschung bereiteten, denn im Film kann niemals ein Werk so aufgeführt werden, wie es der Autor oder Komponist für die Bühne bearbeitet hat, ganz besonders die Oper, wo der musikalische Teil die Hauptsache ist und mit der Handlung konform geht; hier kann weder weggelassen noch hinzugefügt werden. Es ist deshalb ein Unding, dass ein Filmkomponist die Werke erster Meister wie Richard Wagner, Beethoven, Mozart, Lortzing, Richard und Johann Strauss, Puccini, Verdi, Gounod, Lehar, Millöcker u. a. m. durch eigene Musik verändert oder die Originalmusik verkürzt, was bei der kurzen Laufzeit des Films doch unvermeidlich ist. Denn eine Oper oder Operette, die eine Spielzeit von drei Stunden und darüber erfordert, kann in ihrer vollkommenen Handlung und Musik nicht in 1¼ bis 1½ Stunden im Film gezeigt werden, denn der nicht Eingeweihte bekommt so ein ganz falsches Bild von der wirklichen Oper, Operette und Schauspiel. Dem Film stehen andere Möglichkeiten durch die freie Natur zur Verfügung, sodass er gern auf Bühnenwerke verzichten kann und der Bühne ihre Privilegien lässt, denn Bühne und Film sind zweierlei Begriffe.

In Deutschland hatte man damals die Tragweite dieses neuen Gewerbes noch nicht erkannt. Es lag dies zum großen Teil an der Einstellung der damaligen Behörden, die in dem Kino nur eine vorübergehende Jahrmarktssensation erblickten, die außerordentlich schädigend auf Sitten und Moral sowie auf die gesamte Volkserziehung einwirken könne. Hätten wir damals schon eine dem Film so wohlwollende Behörde gehabt, wie es heute der Fall ist, so wäre erstens der deutsche Film viel schneller zu seinem Recht gekommen und wären [zweitens] der deutschen Wirtschaft viele Millionen Mark erspart geblieben, die für die vielen Kitschfilme ins Ausland wanderten.

Da es zu dieser Zeit in Deutschland noch an Aufnahmeateliers mit technischen Einrichtungen fehlte, mussten die Filme bei Tageslicht im Freien aufgenommen werden. Die hierzu erforderliche behördliche Genehmigung wurde des Öfteren versagt und deshalb wurden oft ohne Erlaubnis Aufnahmen gedreht, was aber beträchtliche Strafen nach sich zog, wenn man dabei erfasst wurde. Die Gesamtleitung der Filmaufnahmen lag in den Händen des Unternehmers, denn er war sozusagen das Mädchen für Alles – wie Regisseur, Operateur, Inspizient, Schauspieler, Elektrotechniker u. a. m. Dass bei diesen primitiven Möglichkeiten keine Kunstwerke entstanden, ist begreiflich und zu verstehen.

Als Filmschauspieler hatte man Personen aller möglichen Stände verpflichtet, da die Berufsschauspieler zu dieser Zeit es als eine Beleidigung aufgefasst hätten, in einem Film mitzuwirken. Als erste waren es Artisten, die sich von der Bühne zum Film bekannten. Später folgten, und zwar durch die Plattentonfilme angeregt (1908), die Berufsschauspieler, die sich das hohe Honorar nicht entgehen lassen wollten.

Die Dramen waren mit Zwischentiteln versehen und wurden außerdem von einem Rezitator erklärt. Vielfach übernahm dieses Amt auch der Vorführer, der aus dem Guckloch seiner Vorführkabine den Film nach seiner Auffassung erläuterte, sodass oft aus dem Drama ein humoristischer Film wurde. Im Übrigen waren die Rezitatoren eine Klasse für sich, die oft nicht (wie man es vielfach in kleineren Kinos feststellen konnte) über eine Durchschnittsbildung verfügten, sodass manchmal die verwickeltsten Situationen entstanden, die beim Publikum unfreiwillige Heiterkeitsausbrüche verursachten. Die musikalische Illustration wurde in den Jahrsmarktskinos durch Grammophon oder Orchestrions ersetzt.

In den ersten ständigen Kinos war es ein Pianist, der Klavier und Harmonium zugleich spielen konnte, oftmals sogar ohne Notenkenntnisse und doch manchmal geradezu genial in der Zusammenstellung der der Handlung angepassten Melodien. Durch seine Improvisationen wurde der Schmerz des Publikums um den mit dem Tode ringenden weiblichen oder männlichen Helden des Dramas verstärkt, sodass bei den Klängen des Harmoniums die Taschentücher in Bewegung traten, bis jäh in die Trauerstimmung der Ruf erklang: „Billetts Nr. 15 sind abgelaufen, wer sitzen bleibt, muss nachzahlen!“

Die besseren Kinos, die sich als Rezitator einen Schauspieler oder Schriftsteller leisteten, hatten für die musikalische Illustration ihrer Filme schon kleine Orchester von fünf bis zwölf Personen verpflichtet, die ihre Begleitmusik aus Opern, Operetten, Liedern, Phantasien und dergleichen je nach den Filmszenen zusammenstellen mussten. Dieses war für den Kapellmeister mit einem größeren Orchester keine leichte Aufgabe, denn jeder Musiker hatte einen großen Stoß Noten vor sich liegen, in welchem er die zu spielenden Melodien durch vor- oder rückwärtsblättern aufsuchen musste. Es war von jeher ein Fehler der Filmproduzenten, dass der Film keine eigene Musik hatte und dadurch viel von seiner künstlerischen Note einbüßte. Wohl kann ein Film durch Einfügen von einzelnen Opern- und Operettenszenen künstlerischer gestaltet werden, natürlich nur, wenn es die Handlung erlaubt.

Ebenso berechtigt ist der Kampf gegen die Starfilme, besonders zur Zeit der „stummen Filme“, in welcher man über Nacht Personen zum Filmstar erhob, die oft nicht über eine mittelmäßige Begabung als Schauspieler oder Schauspielerin verfügten. Bei Damen genügte ein hübsches Gesicht, was sich vor der Kamera gut ausnahm. Hier hat das Dritte Reich eine Änderung geschaffen, indem es zur Bedingung macht, dass sämtliche Filmdarsteller einen Befähigungsnachweis zu bringen haben. Jeder Starfilm ist mehr oder weniger auf die einzelne Person eingestellt, sodass die anderen Mitwirkenden oft nur als Hilfskräfte erscheinen, und der Film in seinem Wert ganz erheblich verliert.

Die Ankündigung der Filme könnte auch noch wesentlich verbessert werden, wenn die für das Publikum uninteressanten Bekanntgaben wie Filmfabrikanten, Hilfsregisseure, Bauten, Schnitt, Ton, Filmkopie usw. wegblieben. Ganz besonders bei Expeditionsfilmen ist dies der Fall, wo durch diese Bekanntgaben der Zuschauer zu der Auffassung kommen kann, dass der Film gestellt ist. Es wäre überhaupt für jeden Fall besser, wenn nur der Titel erscheinen würde und alle anderen Ankündigungen auf einem Programmzettel gedruckt jedem Besucher gratis überreicht würden.

Auch die Jahrmarktsreklame in den Zeitungen wie: Diesen Film muss jeder gesehen haben – oder: dieser Film kostete in seiner Herstellung das und das – Hunderttausende haben den Film mit größter Begeisterung gesehen – und wie die Schlagzeilen alle heißen, muss verschwinden, denn bei solcher Ankündigung verliert selbst der hochkünstlerische Film. So wie bei den Sprech- und Opernbühnen jedes Stück für sich selbst Reklame macht, muss es auch beim Film werden.

Übersicht Vorheriger Artikel Nächster Artikel